Die Geigerin erzählt, was ihre erste Platte war, warum sie sich politisch äußert und wie sie auch der Fußball nach Hamburg brachte.

Hamburger Abendblatt

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Hamburg. Die Geigerin Lisa Batiashvili ist nicht nur eine herausragende Musikerin, sondern auch ein wacher, kritischer politischer Geist. Sie hat sich schon vor Jahren mit dem putintreuen Dirigenten Valery Gergiev angelegt und auf dem Maidan in Kiew gespielt. Immer wieder protestiert die Georgierin aus Tiflis, die nach dem Verlassen ihrer Heimat in Hamburg studiert hat, auch auf Konzertbühnen gegen Missstände.

In dieser Saison ist sie Residenzkünstlerin bei den Berliner Philharmonikern, am 23. Februar kommen sie gemeinsam und mit Chefdirigent Kirill Petrenko für ein Konzert in die Elbphilharmonie. Ein Gespräch über ihren Mut, aber auch darüber, welche Rolle Fußball, Bruno Mars und deutsche Volksmusik in ihrem Leben spielen.

Hamburger Abendblatt: Sie sind dafür bekannt, dass Sie nicht nur Geige spielen, sondern dass Sie sich auch offen äußern und offen Protest einlegen – gegen den Ukraine-Krieg, gegen alles, was in Georgien passiert ist, gegen die Haltung, die der Dirigent Valery Gergiev zur Regierung Putin hat. Bei unserem letzten Gespräch haben Sie gesagt: Es geht gar nicht, dass man unpolitisch ist. Viele Musikerinnen und Musiker schaffen das trotzdem ganz gut.

Lisa Batiashvili: Gefährlich daran ist, dass man in ein kollektives Unbewusstsein verfällt, durch das jahrzehntelange, vielleicht zu gute Leben. In den westeuropäischen Ländern war alles immer weit weg. Ich hoffe, dass die Menschen nun anfangen werden, sich mehr dafür zu interessieren, was geschieht. Bewusstsein ist für mich das Schlüsselwort.

Lisa Batiashvili: „Ich verstehe nicht, wieso so vieles akzeptiert und toleriert worden ist“

Fällt es Ihnen von Mal zu Mal schwerer oder leichter, sich einzumischen?

Es wird für niemanden einfacher. Vieles, was in der Politik passiert, sehen wir gar nicht, das ist natürlich sehr frustrierend. Vieles ist momentan im Umbruch, besonders in den osteuropäischen Ländern. Man kann das nicht mehr übersehen und auch nicht mehr bremsen. In den letzten Jahren gab es sehr viele Georgier, die im Ausland studiert oder gearbeitet haben. Sie sind jetzt zurück und haben sich viel klarere Ziele gesetzt, um Georgien wirklich aus dieser postsowjetischen Zeit herauszubekommen und mit immer mehr Energie in Richtung europäische Familie zu gehen.

Sie haben auf dem Maidan gespielt in Kiew, Sie haben sich 2014 mit Gergiev in Amsterdam angelegt, als sie ein Stück, das „Requiem for Ukraine“ heißt, als Zugabe spielten, ohne es ihm vorher zu sagen. Und er war nur mittelbegeistert. Hatte Ihr politisches Verhalten für Sie auch schon negative Folgen?

Wenn ich irgendwo auftrete und europäische Werte sozusagen durch mein Wort oder meine Musik verteidige, dann sollte das ja eigentlich nicht kritisiert werden – das Gegenteil sollte kritisiert werden. Es kann keinen Menschen oder Künstler geben, der sowohl von Europa profitiert als auch von einem System, das absolut gegen unsere Werte geht. Ich verstehe wirklich nicht, wieso über so viele Jahre so vieles akzeptiert und toleriert worden ist.

Waren Sie schon als Kind so, haben Sie schon ganz früh freiwillig die Klassensprecherin gemacht und diese Art von Gerechtigkeitsempfinden schon von Anfang an so ausgelebt?

Überhaupt nicht. Ich war ein sehr stilles und zurückhaltendes Kind, habe ziemlich viel Musik gemacht zu Hause, Geige und Klavier gespielt. Aber ich habe ja in einer Zeit in Georgien gelebt, als die Sowjetunion sozusagen schon am Ende war. Dieser Umbruch, dieser Kampf für Unabhängigkeit und Freiheit der Georgier, das alles hat mich schon sehr geprägt. Mein Vater durfte ja mit seinem Streichquartett Konzerte in Europa spielen, er hatte eine besondere Erlaubnis vom sowjetischen Kulturministerium. Also konnte er uns erzählen, wie es tatsächlich ist in Europa. Das war so weit weg, auch die Vorstellung davon, wie man in Europa lebt. Es war wie auf einem anderen Planeten. Damals ist mir ganz klar geworden, durch die Musik und diese Erzählungen: Ich möchte auch dahin.

Zu einer anderen Art Mut: Sie haben schon mit allen Größen der Klassikwelt gespielt, mehrfach und so ziemlich alles. Braucht es dennoch so etwas wie klassischen, richtigen Mut, um sich zu sagen: Ich bin jetzt Residenzkünstlerin bei den Berliner Philharmonikern, das bilde ich mir nicht ein, ich bin das wirklich?

Ich war schon bei einigen großen Orchestern Residenzkünstlerin, beim Concertgebouw in Amsterdam oder dem New York Philharmonic. Aber die Berliner waren ein Traumorchester für mich, schon seit meiner Kindheit. Zum ersten Mal, schon fast 20 Jahre her, habe ich mit denen musiziert, als meine Tochter gerade ein paar Wochen alt war. Über die Jahre hat sich eine Freundschaft entwickelt und aufgebaut. Und es macht mich extrem glücklich, einfach mit diesen Menschen zu kommunizieren und Musik zu machen. Das ist das Orchester, wo große Persönlichkeiten zusammenkommen und sie trotzdem dieses Einheitsgefühl haben, wenn sie spielen. Ich bin auch deswegen nach Berlin gezogen und freue mich auf jedes Konzert.

Kann man sich oder muss man sich womöglich bewerben für einen Artist-in-Residence-Posten? Oder bekommt man ihn nicht, sobald man fragt?

Bewerben kann man sich nicht, das Orchester entscheidet.

Sie haben eine lange Zeit Stradivaris gespielt, spielen jetzt aber eine Guarneri. Warum? War es dann doch nicht Liebe für die Ewigkeit?

Jede Geige hat eine ganz eigene Persönlichkeit. Als ich auf diese Guarneri-del-Gesù-Geige gekommen bin, vor gut zehn Jahren, hatte ich die Möglichkeit, eine deutsche Familie als Investor dazu zu motivieren, dieses Instrument zu kaufen. Das war wirklich ein Riesenglücksfall: Sie ist in Europa, es gehört Menschen, die ich kenne, und ist eines der schönsten Instrumente, die ich je in der Hand gehabt habe. Dass ich es jetzt jeden Tag spielen kann, gibt mir eine sehr große, auch emotionelle und professionelle Stabilität. Am Ende geht es ja darum, dass man nicht mehr an das Instrument denken muss, sondern einfach Musik macht. Die Möglichkeit hat, sich auszudrücken und auch in einem schlechteren Saal keine Sorge zu haben, dass man die Geige nicht hört.

Helene Fischer verkauft gerade Karten für Konzerte in zweieinhalb Jahren. Wo immer Taylor Swift auftaucht mit ihrer Welttournee, wächst das Bruttosozialprodukt – und sie hat am Ende eine Milliarde mehr auf dem Konto. In der Klassik muss man aber immer noch so viel Überzeugungsarbeit leisten. Die allermeisten Künstlerinnen und Künstler sind Welten von diesen Gehaltsstufen entfernt. Fair ist das ja alles nicht.

Natürlich ist es nicht fair. Deshalb heißt das andere ja auch „Popularmusik“. Wir könnten mehr junge Menschen für uns gewinnen. Dazu müssten wir noch mehr tun – auch die Art und Weise der Konzertpräsentation etwas modernisieren: mehr Interaktion mit dem Publikum, Konzerte stärker visuell gestalten. Man muss auch die klassische Musik an die Zeit anpassen.

Batiashvilis Lieblingsinstrument? Trompete

Einige kurze, schnelle Fragen: Piano oder Forte?

Beides.

Ihr Lieblingsinstrument – aber das eigene gilt nicht.

Trompete. Mein Sohn spielt Trompete, und ich liebe das, weil man so viele verschiedene Arten von Musik darauf spielen kann.

Wissen Sie noch, was Sie mit Ihrer ersten professionellen Gage gemacht haben?

Die erste professionelle Gage war schon in Deutschland, in Georgien habe ich nichts verdient. Mit 13 habe ich beim Hessischen Rundfunk etwas aufgenommen und 300 D-Mark bekommen, und ich hab mir ein Fahrrad gekauft.

Mit welchen Komponisten würden Sie gern über seine Musik reden?

Ich würde vor allem mit ihm über alles Mögliche reden. Das wäre Mozart.

Bier oder Champagner?

Champagner.

Fußball oder Handball?

Fußball. Das war eine sehr große Leidenschaft von mir als Kind und etwas, was ich mit meinem Vater geteilt habe. Wir haben sehr viele Matches angesehen, vor allem die Welt- und Europameisterschaften. Ich war ein Riesenfan des deutschen Teams, mit zehn, elf Jahren. Ich habe mir alles gemerkt, die Geburtsdaten von jedem Fußballer, wo sie geboren wurden. Lustigerweise ist mein Sohn jetzt auch ein Fußballfreak, der liebt es.

Also stimmt die Geschichte, dass Sie eigentlich nur wegen der Fußballnationalmannschaft nach Deutschland zum Studium wollten?

Zu 50 Prozent.

„Unglaublich tolle Erinnerungen an Hamburg“

Wann haben Sie zum letzten Mal im Konzert gebuht?

Niemals. Das würde ich den Musikern nicht zumuten. Ich habe so viel Respekt vor Menschen, die Musik machen.

Was ist das typisch Georgische an Ihnen?

Vieles. Dass ich immer noch so eine Verbindung zu meiner Heimat habe. Typisch ist wohl auch, dass ich vielleicht doch eher ziemlich explosiv bin. Manchmal. Das äußert sich auch im Alltag: Wenn irgendwas nicht geht, geht es nicht. Und das drücke ich sehr stark aus.

Welche Superkraft besäßen Sie gern?

Natürlich hätte ich gerne die Möglichkeit, manche Dinge in der Welt anders zu organisieren. Aber diese Kraft hat niemand.

Gibt es Musik, mit der man Sie jagen kann?

Ehrlich gesagt: deutsche Volksmusik.

Ganz wichtig, der lokalpatriotische Teil: Sie haben in Hamburg studiert. Welche Erinnerungen haben Sie noch an die Stadt, außer, dass Sie hier studiert haben?

Unglaublich tolle Erinnerungen. Ich glaube immer noch, dass es die schönste Stadt Deutschlands ist, und bin so dankbar, dass meine erste Erfahrung in Deutschland in Hamburg war. Damals war ich kurz am Albert-Schweitzer-Gymnasium, meine erste Begegnung mit Kindern in meinem Alter. Das wird immer unglaublich wertvoll für mich bleiben.

An diesem Gymnasium gibt es ein Schulorchester. Haben Sie die alle an die Wand gespielt, oder durften Sie erst gar nicht mitspielen?

Das war natürlich für mich ein Riesenvorteil. Ich konnte mit ihnen kein Deutsch sprechen, aber wir haben natürlich sofort Musik gemacht. Das hat anfangs vieles vereinfacht und mir vor allem neue Freunde beschert, denn sie waren alle sehr musikalisch und begegneten mir extrem offen.

„Für mich ist Bruno Mars der Nachfolger von Michael Jackson“

Ich habe ein großartiges Zitat über Sie in der „New York Times“ gefunden: „Ihr Spiel beinhaltet eine laserartige Direktheit, die erlaubt, konzentrierte Gefühle ohne auch nur einen Hauch von Affektiertheit oder Theatralik zu vermitteln – die musikalische Entsprechung einer Bauchspiegelung.“ Ein toller Vergleich oder totaler Quatsch?

Es geht wohl darum, dass ich versuche, sehr fokussiert zu sein beim Spielen, mich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Das kommt manchmal so oder so rüber. Jeder versteht das auf seine Art und Weise. Für mich ist es so, dass mein Fokus mich dazu bringt, sehr, sehr tief in die Musik einzutauchen. Das ist einfach meine Art, Musik zu machen. Mich so wenig wie möglich ablenken zu lassen.

Kommen Sie gut damit klar, dass der Dirigent oder die Dirigentin neben Ihnen sagt: Da geht es lang, das machen wir jetzt mal so oder aber: Das machen wir ganz bestimmt nicht so?

Jetzt passiert so was nicht. In meiner Jugend gab es einige Begegnungen mit Maestros, bei denen ich sehr, sehr schüchtern war. Die haben mich sozusagen geleitet mehr als andersherum. Inzwischen ist es eine gemeinsame Reise. Ein Maestro ist auch nicht mehr der nette Diktator, sondern ein Teil der musikalischen Gesellschaft auf der Bühne.

Interessant, dass Sie diesen Begriff Maestro verwenden, für mich hat der etwas Gestriges, wie aus einer Zeit, die eigentlich vorbei sein sollte. „Maestro, darf ich Ihnen noch ein Wasser anreichen? Maestro, soll ich Ihnen die Tür aufhalten?“ Sie haben kein Problem mit dieser Vokabel?

Für mich ist es kein Problem, solange es trotzdem eine Demokratie gibt.

Lisa Batiashvili, Musikerin mit klarer politischer Haltung

Wissen Sie noch, welche Ihre erste eigene Platte war?

Das weiß ich ganz genau: Wiener Philharmoniker Karl Böhm, Mozart-Sinfonien Nummer 39 und 40.

Streberin.

Tut mir leid. Ich habe das gehört, was meine Eltern mir gegeben haben. Mein Vater hat diese Aufnahmen gebracht, und parallel „Porgy and Bess“ mit Louis Armstrong und Ella Fitzgerald. Auch das lief zu Hause jeden Tag.

Die beste Musik zum lauten Mitsingen im Auto?

Bruno Mars. Ich liebe Bruno Mars, weil ich ein großer Fan von Michael Jackson war. Ich habe alle Songs von ihm auswendig gelernt und gesungen. Ich war in seinem Konzert, als ich noch sehr jung war. Für mich ist Bruno Mars der Nachfolger von Michael Jackson.

„Die Arbeit am Bewusstsein für den Körper ist sehr wichtig“

Zum Abschluss noch einmal Pekka Kuusisto: Der macht vor einem Violinkonzert, das Bryce Dessner für ihn geschrieben hat, schnelle 20 Liegestütze, um auf Betriebstemperatur zu kommen, weil das Stück wie ein Boxkampf sei. Haben Sie vor Auftritten ähnliche Tricks in der Garderobe, um sicher zu sein: Jetzt kann ich rausgehen, jetzt kann ich spielen?

Ich bin sehr gespannt, ob Pekka das wirklich macht, denn nach Liegestützen kann man die Geige eigentlich gar nicht in der Hand halten … Aber jedes Werk braucht eine andere Art von Vorbereitung. Die Arbeit am Bewusstsein für den Körper ist sehr wichtig. Je älter wir werden, desto mehr müssen wir das lernen: Wie schaffe ich es, mich zu entspannen und mich aber trotzdem aufgeregt genug zu fühlen, um mit Freude auf die Bühne zu gehen?

Also fünf immer gleiche Yoga-Übungen in der Garderobe? Und in der letzten Viertelstunde, bevor es losgeht, ist die Tür zu und niemand darf hereinkommen?

Genau das. Mein größter Wunsch: dass jeder versteht, dass ein Künstler eine Viertelstunde vor dem Gang auf die Bühne absolute Ruhe braucht.