Die Sonntagsserie: Unsere Reporter treffen Menschen, die etwas bewegen. Heute: Ein Spaziergang mit Violinistin Lisa Batiashvili.

Morgenpost

Gleich neben dem Klingelschild ist ein Mitteilungsblatt für die Anwohner angeheftet. Wegen Dreharbeiten zur ZDF-Serie „Der Kriminalist“ mit Christian Berkel im Renaissance Theater kann es zu Beeinträchtigungen kommen. Aber davon ist in der Knesebeckstraße nichts zu spüren, nicht einmal Herr Berkel läuft über den Bürgersteig.

Ich drücke den Klingelknopf. Eine Kinderstimme sagt irgendetwas. Dann herrscht eine ganze Weile Stille. Plötzlich schnarrt die Stimme wieder etwas. Die Haustür ist offen. Vor der Wohnungstür geht das Warten weiter. Dann kommt Lisa Batiashvili heraus, und ihr ist anzusehen, dass sie vom organisierenden Mamadasein auf den bevorstehenden Spaziergang umschaltet. Sie lächelt.

Kaum sind wir auf der Straße angekommen, befinden wir uns bereits in Georgien. Zumindest im Gespräch darüber. Die Stargeigerin ist in Georgien geboren, mit zwölf Jahren kam sie nach Deutschland. „Meine ältesten Erinnerungen sind natürlich die an meine Familie, an Schule und Ferien, an das Ballspielen im Hof. Ich habe sehr viel Zeit mit anderen Kindern verbracht“, sagt sie. „Mein Tag war so aufgeteilt: Ein halber Tag mit Musik, ein halber Tag draußen.

Weil in Georgien auch das Klima so gut ist, kann ich mich kaum an kalte Tage erinnern. Man konnte spätabends noch spazieren gehen. Seit ich wieder so eine enge Verbindung mit meiner Heimat habe, sind meine Erinnerungen noch stärker geworden.“

Eigentlich ist es fast egal, worüber man mit ihr spricht, alle Gesprächswege können irgendwann nach Georgien führen. In der Knesebeckstraße ist etwa das Restaurant „Belmondo“ der Auslöser. Sie mag die französische Küche, sagt Lisa Batiashvili.

In dem Restaurant waren sie und ihr Mann, der französische Oboist François Leleux, in der Berliner Anfangszeit regelmäßig essen. Dann versichert sie, dass sie Jean-Paul Belmondo für einen großartigen Schauspieler hält, überhaupt mag sie französische Filme. Im dritten Schritt folgt die Information, dass man Belmondos Filme in Georgien viel gesehen hat.

Die Geigerin hat den Untergang der Sowjetunion erlebt

Und das hat seinen guten Grund, wie sich schnell herausstellt. Im großen Sowjetreich, wozu auch Georgien gehörte, gab es ähnliche Kulturwahrnehmungen. Das ist im Kinogeschmack besonders deutlich nachzuvollziehen. Da Hollywoodfilme als Machwerke des imperialistischen Erzfeindes offiziell verpönt waren, musste westeuropäisch-unverfänglicher Ersatz her. Französische und skandinavische Filme liefen rauf und runter, gerade auch die Komödien mit Louis de Funes kannte jedes Kind. Frankreich ist immer ein Traumland geblieben.

Kaum sind wir am „Belmondo“ vorbei, dreht sich Lisa Batiashvili noch einmal um und sagt: Daniel Barenboim würde in dem Restaurant auch gerne essen. Mit dem Stardirigenten wird sie am 19. August in der Waldbühne beim Konzert des West-Eastern Divan Orchestra (Wedo) auftreten. Die Batiashvili ist so etwas wie Barenboims Geigendiva für Großformatiges, also auch für die Open-Air-Ereignisse.

Er hat sie einmal als eine wunderbare Geigerin gelobt, die die seltene Balance gefunden habe zwischen Intimität und großer Projektion. „Als ich vor zwei Jahren Staatsoper für alle auf dem Bebelplatz gespielt hatte“, erzählt Lisa Batiashvili, „habe ich meinen Wunsch geäußert, einmal mit dem Wedo zu spielen. Daniel Barenboim hat gesagt, normalerweise spielen wir nicht mit Solisten. Manchmal nur mit Martha.“ Gemeint ist die Pianistin Martha Argerich, seine große Freundin aus argentinischen Kindheitstagen.

Aber dann ergab sich für Lisa Batiashvili doch die Möglichkeit. „Ich gehöre auch zu jenen, die denken, dass wir Künstler etwas für die Gesellschaft machen müssen.“ Sie hat sich mit Barenboims Projekten, dem Wedo wie seiner Berliner Barenboim-Said Akademie, in der junge arabische und jüdische Musiker gemeinsam ausgebildet werden, beschäftigt. Sie empfindet es als eine großartige Idee, „in der Musik eine gemeinsame Liebe und nach Frieden zu suchen.“

Als Kind hat sie das Ende der Sowjetunion und die Unabhängigkeit Georgiens erlebt. „Der Zusammenbruch der Sowjetunion war unserer Familie sehr wichtig. Wir waren schon immer sehr antisowjetisch. Im Vergleich zu vielen Europäern habe ich vieles von der Geschichte mitbekommen.

Und wie groß die Lüge am Ende war, wie gefangen die Menschen im System waren. Das hat mich schon als Kind sehr beschäftigt.“ Die Georgier bezeichnet sie als sehr freiheitsliebend, ähnlich wie die Balten.

Plötzlich bleibt die Geigerin an einem kleinem Café stehen. Alles daran sieht gesund aus. Die Geigerin erzählt etwas von glutenfreien Produkten. Bevor ich etwas von laktosefreier Milch erwidern kann, schauen wir uns in die Augen und entscheiden weiterzugehen. Mit seinen Ernährungsgewohnheiten gibt man schon viel Privates von sich preis. Aber sie scheint offenbar auf gute Ernährung zu achten.

Ihr Vater als Geiger mit seinem Streichquartett

Wir wechseln das Thema und sprechen über ihren Vater, der als Geiger mit seinem Streichquartett öfter auf Tournee in Europa war. Seine Gagen, die Devisen, musste er überwiegend an den Staat abgeben. Was er seiner Familie mitbrachte, waren Geschichten und Schallplatten.

Lisa Batiashvili kann sich noch genau an die ersten Platten erinnern. Darunter war eine Mozart-Aufnahme von Karl Böhm mit den Philharmonikern und – was kaum verwundert – eine Aufnahme des deutschen Geigenmädchens Anne-Sophie Mutter unter der strengen Hand von Herbert von Karajan.

Das Geigenspiel hat Lisa Batiashvili zuerst bei ihrem Vater gelernt. Obwohl es nie einfach ist, von den eigenen Eltern unterrichtet zu werden. „In meinem Fall habe ich Glück gehabt“, sagt sie. „Weil er sehr nett war. In der sowjetischen Welt ging es ein bisschen härter zu in der Musikerziehung. Die Kinder wurden auf strengere Weise an ein Instrument gebracht, als es heute in Europa üblich ist, wo das Kind vorher befragt wird, ob es üben möchte.“

Die hohen Ansprüche bereits im jungen Alter hätten aber auch dazu geführt, dass Kinder mit sechs oder sieben Jahren schon sehr gut spielen konnten. „Aber Personen wie ich hätten die harte Ausbildung nicht vertragen, ich war einfach zu zerbrechlich. Ich musste immer viel über das nachdenken, was ich gemacht habe.“

Ihr Vater war Professor am Konservatorium. Nachmittags nahm er sich Zeit für seine Tochter, an den Wochenenden jeweils vormittags. „Ich empfand es eher, als wenn wir gemeinsam geübt hätte. Das war in dem Sinne kein Unterricht.“ Als sie acht Jahre alt war, kontrollierte er sie zwei bis drei Mal die Woche. „Meine Mutter war Pianistin, sie hat zielstrebig verfolgt, dass mein Vater mit mir übt.“

Georgien haben sie verlassen, als der Bürgerkrieg drohte. Das Land war bereits unabhängig. „Aber nach einem Jahr wollten die Leute den ersten frei gewählten Präsidenten wieder weghaben. Es war die erste Berührung mit der Demokratie, die total schiefging. Weil die Menschen glaubten, in der Demokratie kann man immer sofort die Regierung wechseln, wenn etwas nicht gut läuft.“

In Deutschland angekommen, wollte sie schnell dazugehören

Die Batiashvilis hatten Verbindungen nach Deutschland. „Außerdem gibt es hier ein großen System an Musikhochschulen“, erklärt die Geigerin die Entscheidung für Hamburg. Keiner von ihnen sprach deutsch. „Ich wollte so schnell wie möglich dazugehören“, sagt Lisa Batiashvili:

„Die Lehrer an dem Hamburger Gymnasium gingen ein halbes Jahr lang sehr nachsichtig mit mir um, danach habe ich die Arbeiten alle mitgeschrieben. Es ging also relativ schnell, es hing sicherlich auch damit zusammen, dass die Schüler um mich herum alle sehr gut deutsch gesprochen haben. Das hat mir geholfen.“ Möglicherweise ist sie in diesen jungen Jahren bereits erwachsen geworden.

„Ich glaube immer noch an die Natur“, sagt sie, „sie ist ein Geschenk Gottes.“ Wir stehen mitten auf der grünen Wiese am Savignyplatz, als sie erzählt, wie sich ihr Leben verändert hat, nachdem sie als 16-Jährige den 2. Preis des Sibelius-Wettbewerbs in Helsinki gewonnen hatte. Sie bekam plötzlich künstlerische Angebote, um sich ein unabhängiges Leben finanzieren zu können. Sie sagt, sie kenne Künstler, die noch viel jünger auf eigenen Beinen standen. Wenn sie darüber spricht, klingt das ein bisschen nach großer Freiheit. Wobei damit eher die Freiheit gemeint, selbst entscheiden zu können, was man tun möchte und was nicht.

60 Konzerte im Jahr

Rund 60 Konzerte spielt Lisa Batiashvili im Jahr. Besessene Kollegen geben mehr als doppelt so viele. Das will sie nicht. Ihre Planungen laufen bereits bis 2021. Eine Professur hat sie bislang ausgeschlagen – „vielleicht wenn die Kinder aus dem Haus sind“.

Sie kann an ihrem Mann sehen, der eine Professur in München hat, was es an Verantwortung und Zeitaufwand bedeutet. In München hatten sich die beiden bei Freunden kennengelernt. Er war Solo-Oboist beim Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks. Richtig gefunkt hat es zwischen ihnen aber erst später bei einem Kammermusikfestival in Helsinki.

In München, das sie als „ein komfortables, glückliches Dorf“ bezeichnet, lebt die Familie, wenn sie nicht gerade einige Monate in Berlin verbringt und die Kinder hier zur französischen Schule gehen. Die Eltern stehen beide früh auf, um ihre Kinder auf die Schule vorzubereiten. Das ist eine ihrer Prioritäten im Leben. Kinder seien „für Routine“ dankbar, sagt sie: „Wir Eltern müssen wirklich sehr viel lernen.“ Ihre Kinder wachsen mehrsprachig auf. „Sie sind kleine Weltbürger“, sagt Lisa Batiashvili stolz.

Mit schnellen Schritten sind wir den Kudamm hinunter und in die Fasanenstraße hineingelaufen. Lisa Batiashvili will zur Galerie Kornfeld, wo sie mal ein Bild von Christian Awe gekauft hat. Parallel waren auch Werke des Georgiers Levan Songulashvili zu sehen.

Ihre 14-jährige Tochter Anna würde sich sehr für Bildende Kunst interessieren, erzählt Lisa Batiashvili, und auch selber malen. Der zehnjährige Sohn Louis interessiert sich mehr fürs Klavier. „Ich finde es schön, wenn meine Kinder ihre eigenen Stärken finden und sich nicht mit ihren Eltern vergleichen müssen.“

Der Fototermin findet am Delphi-Kino in der Kantstraße statt. Die Geigerin posiert in mondäner Natürlichkeit, gibt sich insgesamt ziemlich uneitel. Zwischendurch zeigt sie aufs Kinoprogramm an der Rückseite. Den Film „Papst Franziskus – Ein Mann seines Wortes“ hat sie sich einige Tage zuvor mit ihren Kindern angeschaut. Der Papst hat sie mit seinen Ansichten beeindruckt. Sie zeigt das kleine goldene Kreuz, das sie um den Hals trägt. Das habe ihr eine liebe Patentante geschenkt.

Wir schlendern die Kantstraße zurück in Richtung Knesebeckstraße und plaudern über das Wetter und die vielen Open-Air-Konzerte. „Man spielt viel öfter im Konzertsaal als Open-Air“, sagt Lisa Batiashvili. Insofern ist es immer etwas Besonderes.

Die Waldbühne bezeichnet sie als einen Ausnahmeort. „Die Akustik ist fast so gut wie im Konzertsaal. Es ist ein schöner Ort, man merkt, dass es dem Publikum dort gut geht. Die Menschen wirken entspannter.“

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