„Was wäre das menschliche Leben,“ fragt Lisa Batiashvili, „ohne diesen Reichtum an Emotionen und Gefühlen, von denen wir glauben, dass sie mit niemandem geteilt werden können?“ Ihr neues Album zelebriert die hohe Kunst der Geheimhaltung, des Verbergens privater Leidenschaften dicht unter der Oberfläche bis sie sich Bahn brechen. Secret Love Letters, das fantastische neue Album der in Georgien geborenen deutschen Geigerin, das von der Deutschen Grammophon am 19. August 2022 veröffentlicht wird, erkundet einige der romantischsten Werke, die je geschrieben wurden. Auf diesem Album, ihrer ersten Einspielung mit einem US-amerikanischen Orchester, wird Batiashvili begleitet vom Philadelphia Orchestra unter der Leitung seines inspirierenden Musikdirektors Yannick Nézet-Séguin – mit dem Batiashvili schon häufig live zu hören war – sowie dem jungen georgischen Pianisten Giorgi Gigashvili. Gemeinsam begeben sie sich auf eine musikalische Reise, die alles von verbotener Liebe bis hin zur Betrachtung von Romantik aus der Perspektive des Alters umspannt.

„Es finden sich so viele versteckte Botschaften in Musik, Dinge, die nicht in Worte gefasst werden können,“ bemerkt Lisa. „Etwas sehr offensichtliches verbindet die vier Stücke von Chausson, Debussy, Franck und Szymanowski, die ich für das Album ausgewählt habe. Es ist die Botschaft der Liebe, die in der Musik vorhanden ist, in vielen verschiedenen Facetten und Schattierungen und so vieles von dieser Liebe ist geheim und intim.“ Ihr langjähriger musikalischer Partner Nézet-Séguin ist auf der gleichen Wellenlänge: „Eines meiner liebsten Zitate ist, dass Musik da anfängt, wo Worte aufhören. Das Besondere an Musik ist, dass sie uns ermöglicht, Dinge auszudrücken, die wir manchmal noch nicht einmal vor uns selbst in Worte fassen können.“

Im Zentrum von Secret Love Letters steht Karol Szymanowskis erstes Violinkonzert, die traumhafte Meditation des polnischen Komponisten über die Bilder von Noc majowa („Mainacht“), einem Gedicht von Tadeusz Miciński und Ausgangspunkt für die Entstehung einer Partitur voller Leidenschaft und Sinnlichkeit. Die Komposition wurde in der Ukraine während des Ersten Weltkriegs geschrieben und im November 1922 in Warschau uraufgeführt. „Es ist ein Stück voller Liebe und Schmerz, entstanden aus den beklemmenden Erfahrungen eines Mannes, der einen anderen Mann liebt, zu einer Zeit, als dies sowohl rechtlich als auch moralisch geächtet war,“ erklärt Lisa. „Es ist ein Tanz zwischen Erotik und Mitgefühl, zwischen einer Traumwelt und der bitteren Realität.“ Paul Kochanski, für den das Werk geschrieben wurde, gab die US-Premiere mit dem Philadelphia Orchestra im Jahr 1924 in der historischen Academy of Music in Philadelphia, dem selben Ort, an dem Lisas Interpretation fast ein Jahrhundert später aufgenommen wurde.

Szymanowskis Konzert in einem Satz findet sein perfektes Gegenstück in Ernest Chaussons Poème für Violine und Orchester, komponiert im Sommer 1896 während eines Besuchs in Florenz. Chausson wollte das lyrische Stück ursprünglich Le Chant de l’amour triomphant („Das Lied der triumphierenden Liebe“) nennen. Sowohl der verworfene Titel von Poème als auch ein Großteil seiner Atmosphäre stammen aus einer Novelle des russischen Autors Iwan Turgenjew, der seinerseits in die berühmte Mezzosopranistin Pauline Viardot verliebt war und eine lange andauernde Ménage-à-trois mit der Sängerin und ihrem Ehemann einging. Poème wurde inspiriert von einem der größten Künstler der damaligen Zeit, dem belgischen Violinisten Eugène Ysaÿe, der auch Widmungsträger des Stückes ist.

Umrahmt werden die Kompositionen von Szymanowski und Chausson auf Secret Love Letters von Werken von Franck und Debussy. Ebenso wie Poème hat auch Francks sublime Sonate in A-Dur für Violine und Klavier eine Verbindung zum großen Ysaÿe: Der Komponist schrieb das Stück als Hochzeitsgeschenk für den Geiger und seine Braut Louise Bourdeau. Das Stück, in dem die noch immer leidenschaftlichen Begierden und Emotionen des alternden Komponisten zum Ausdruck kommen, schockierte angeblich Francks konservative Ehefrau und fasziniert das Publikum seit seiner Weltpremiere in Brüssel im Dezember 1886. Am Klavier ist hier Giorgi Gigashvili zu hören, der erst kürzlich ein Stipendium von der Lisa Batiashvili Foundation erhielt, einer Non-Profit-Organisation, die von der Geigerin zur Förderung herausragender junger Künstler aus Georgien ins Leben gerufen wurde.

Lisas Klavierbegleiter im letzten Stück auf Secret Love Letters ist kein anderer als Yannick Nézet-Séguin selbst. Debussys Beau soir wurde ursprünglich als Lied zu einem Text des Schriftstellers und Kritikers Paul Bourget konzipiert und die exquisite Darstellung eines idyllischen Sonnenuntergangs inspirierte den legendären Geiger Jascha Heifetz zu einem sinnlichen Arrangement für Violine und Klavier. „Debussy war ein Botschafter der magischsten Atmosphären, einer Fantasie und Reinheit, die man sich nur vorstellen kann,“ schwärmt Batiashvili.